Ins Alter tanzen

Tanzen hält geistig und körperlich fit – man kann gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen genauso wie gegen Demenz antanzen und Spaß dabei haben.

Mit moderner Computertechnik kann man Vorgänge im Hirn immer besser nachvollziehen – ein Fortschritt, den sich Forscher zu Nutze machen, um Krankheiten und Symptome zu erkennen, aber auch präventive Maßnahmen besser einschätzen zu können. Eine Studie von griechischen Wissenschaftern hat dabei interessante Erkenntnisse zu Tage gebracht: Tanzen fördert die Plastizität des Gehirns. Das Erlernen neuer Tänze steigert die geistige und körperliche Fitness und das Wohlbefinden.
Die Forscher hatten dazu eine Gruppe von 44 über 60-jährigen Menschen begleitet. Die Hälfte der Senioren lernte über 24 Wochen einmal pro Woche eine Stunde griechische Tänze, die andere Hälfte sah Lehrvideos über geschichtliche und kulturelle Themen an und musste im Anschluss daran Fragen beantworten. Es zeigte sich, dass die Tänzer ihre körperliche Fitness mehr als die Kontrollgruppe verbessern konnte, aber auch eine komplexere Kommunikation zwischen Gehirnbereichen der Tänzer nach dem Tanzen als davor konnte nachgewiesen werden. Außerdem wurde festgestellt, dass das Gehirnnetzwerk auch von der besseren körperlichen Fitness profitieren konnte.
In Tirol wurde nun ein Projekt unter dem Namen „Tanzen hält gesund“ ins Leben gerufen, das von Neurologen, Sportmedizinern und -psychologen wissenschaftlich begleitet wird und für ganz Österreich Vorbildcharakter haben soll. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologische Krankheiten wie Alzheimer oder Schlaganfall zählen zu den großen gesundheitlichen und gesundheitsökonomischen Herausforderungen.
„Gesundheitsvorsorge, im Speziellen Prävention von im höheren Erwachsenalter häufiger auftretenden Erkrankungen wie Schlaganfällen, in Verbindung mit körperlicher Fitness, sind dabei wichtige Vorgehensweisen“, sagt Thomas Berger von der Univ.-Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. „Aber nicht zu vergessen ist unsere kognitive Gesundheit und Fitness. Was nützt es uns fit ‚wie ein Turnschuh‘ zu sein, wenn wir nicht mehr wissen, was ein Turnschuh ist.“ Werden die Gehirnleistungen nicht permanent trainiert, dann verkümmert unser Gehirn und wir können dem Alterungsprozess nichts entgegenhalten. „Die kognitive Reserve ist sozusagen der ‚Airbag‘ unseres Gehirns und seiner Leistungen, um bei Erkrankungen des Gehirns eine möglichst große Reservekapazität für die Regeneration zu haben“, veranschaulicht Berger.
Berger schätzt das Erlernen und freudige Ausüben von Gesellschaftstänzen: „Weil wir dafür nahezu unser ganzes kognitives Netzwerk aktivieren und nützen müssen, im Speziellen ist es eine Kombination aus Kognition, Kraft, Koordination, Ausdauer und sozialer Interaktion“, so Berger. „Beim Tanzen sind wir somit echte ‚Multitasker‘, indem wir uns verschiedensten Aktivitäten und Handlungen gleichzeitig widmen und diese zu einer ‚Performance‘ vereinen.“
Die wissenschaftliche Evidenz sei insgesamt noch spärlich, es gebe aber bereits spezielle Hinweise durch kleinere Studien, berichtet Berger: Tanzen vermag neuronale Plastizität in prämotorischen, u.a. für Bewegungsabläufe wichtigen Arealen anzuregen, sowohl bei Profitänzerinnen und -tänzern, als auch bei bereits älteren Menschen. Die neuronale Plastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu regenerieren und erneut zu strukturieren. Tango-Tänzerinnen und -tänzer zeigten eine vermehrte von der Gehirnrinde ausgehende Aktivität in bestimmten Gehirnarealen. Bekannt ist auch, dass rhythmisch auditive Stimulationen durch Musik mit unterschiedlichen Schlagfrequenzen die Geh- und Laufgeschwindigkeiten über bestimmte Gehirnregionen beeinflussen. „Gesellschaftstanz fördert nachweislich die kognitiven Leistungen, die geistige Flexibilität und insgesamt das Ausmaß der kognitiven Reserve“, bilanziert Berger.
„Grundsätzlich ist jede Bewegungsform gesundheitsfördernd, die mit einer gewissen Dauer und Intensität über einen gewissen Zeitraum ausgeführt wird. Zu den Gesundheitseffekten von Tanzen können eine Reihe von Aussagen als fundiert angesehen werden“, weiß Wolfgang Schobersberger vom Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus. So haben Tänzer im Vergleich zu altersentsprechenden Nicht-Tänzern eine bessere Herz-Kreislauf-Fitness, ein besseres dynamisches Gleichgewicht, ein stärkeres Kraftvermögen des Rumpfes und eine größere Knochenmineralisierung. Regelmäßiges Tanzen führe zur Reduktion des erhöhten Body-Mass-Index mit Verminderung der Fettmasse und der Triglyzeride, einer Reduktion des Risikos für Übergewicht und Fettsucht auch bei Jugendlichen und zu einer Verbesserung der Ausdauerleistung des Herz-Kreislauf-Systems. Aber auch zu einer Verbesserung der muskulären Dauerleistung und der Muskelkraft von Rumpf und Beinen, der Optimierung des Gleichgewichts beim Gehen und Verbesserung der Flexibilität, sowie der Reduktion der Sturzgefahr bei älteren Personen.
Einerseits bietet Tanzen eine Therapieform, die mittlerweile auch in verschiedenen klinischen Bereichen Anwendung findet. So zeigen Studien die positiven Wirkungen der Tanztherapie auf emotionale Erkrankungen wie Depressionen. „Andererseits kann das Tanzen als Freizeitaktivität aber auch zur Förderung des physischen und psychischen Wohlbefindens dienen“, berichtet die Sportpsychologin Mirjam Wolf vom Institut für Sport,- Alpinmedizin & Gesundheitstourismus. „Tanzen schließt verschiedene Komponenten ein, die zu diesem Effekt einen Beitrag leisten könnten. So spielt unter anderem die Komponente Musik eine Rolle, die sich nicht nur auf die subjektive Befindlichkeit, sondern auch auf vegetative Reaktionen wie etwa Blutdruck, Herzrate, Atmung, Körpertemperatur, Hautleitfähigkeit, Muskelspannung und Darmbewegung auswirkt.“ (LW2019)