Ganzheitliches Sehtraining
Sehschäden nehmen zu, warnen Augenärzte. Eine Entdeckungsreise zur Selbstheilung.
Mehr als jeder zweite Europäer ist kurzsichtig, Tendenz – besonders bei den Jungen – steigend. Das liegt laut Experten daran, dass viele Menschen fast den gesamten Tag im Nahsichtmodus verbringen – mit Blick auf den Computer oder auf das Smartphone. An der Colorado State University in Fort Collins sieht man auch im erhöhten Zuckerkonsum eine Ursache für Kurzsichtigkeit (Myopie): Ein erhöhter Insulinspiegel rege den Augapfel zu einem verstärkten Längenwachstum an.
Diese Entwicklung erzeugt beträchtliche Kosten für das Gesundheitssystem: Mit der Kurzsichtigkeit und dem damit verbundenen Zugstress im Gewebe verdoppelt sich das Risiko für Löcher und Ablösungen der Netzhaut ebenso wie für grauen und grünen Star. Brillen, Kontaktlinsen und Laseroperationen verändern die Brechung des Lichts, lösen aber nicht das eigentliche Problem. Das Auge selbst ist nämlich nur zu zehn Prozent am eigentlichen Sehprozess beteiligt. Die Interpretation der Informationen, die unsere Augen aufnehmen, also das eigentliche Sehen erfolgt im Gehirn.
Auslöser für verschwommenes Sehen ist selbst bei einer Prädisposition meist irgendeine Art von Stress. In der Regel führt es uns zum Augenarzt oder Optiker. Bei einem Sehtest, der zusätzlichen Stress erzeugen kann, werden die schlechten Testergebnisse in die Brillengläser eingeschliffen. Mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an die Sehhilfe. Obwohl zahlreiche Studien belegen, dass Bewegung, Frischluft, Sonne und ein reduzierter Zuckerkonsum sich positiv auf das Sehen auswirken, stellt kaum jemand die Benutzung von Sehhilfen in Frage. Wer andere Wege sucht wird häufig belächelt, Augentraining gilt als Privatvergnügen. Dabei sind ganzheitliche Augentrainer davon überzeugt, dass sich diese vorgegebene Entwicklung verhindern lässt, und zeigen wie es gehen kann.
Der Pionier des ganzheitlichen Sehtrainings war der US-amerikanische Augenarzt William Bates (1860-1931). Gegenstand seiner Forschung waren der Zusammenhang zwischen Sehschwächen und Überforderung im seelischen und körperlichen Bereich. Er vertrat die Auffassung, dass wir ohne Brille auskommen können, wenn wir die Augenmuskeln trainieren, ihnen Sonnenlicht und Wärme zuführen und Überanstrengung vermeiden. Die meisten Methoden späterer Augentrainer, so auch die von Janet Goodrich (1942-1999) gehen auf Bates zurück. Goodrich legte in ihrer Methode „Natural Vision Improvement“ das Augenmerk auf die emotionalen Aspekte des Sehens. Ihr Buch „Natürlich besser sehen“ gilt das Standardwerk des ganzheitlichen Augentrainings. Es umfasst zahlreiche Augenübungen und setzt auf einen spielerischen und lustvollen Ansatz. Die meisten Sehtrainer haben ihre Methoden aus eigener Betroffenheit entwickelt. Meir Schneider, ebenfalls US-Amerikaner, wurde 1954 mit einem angeborenen Grauen Star geboren und war mit 17 Jahren fast vollständig erblindet. Mit einem intensiven Trainingsprogramm nach Bates heilte er sich selbst von seiner schweren Augenkrankheit. Seine „Miracle Eyesight Method“ hat inzwischen Tausenden Menschen zu besserem Sehen verholfen.
Das Wort Ganzheitlichkeit ist ein emotional aufgeladenes Modewort: Für den einen hat es den süßen Klang von Verheißung, der anderen drückt es als inflationär benutztes „Eso-Unwort“ die Knöpfe. Neutral gesehen meint Ganzheitlichkeit die Betrachtung einer Sache in ihrer systemischen Vollständigkeit, also ihren Eigenschaften und Beziehungen untereinander. Ganzheitliches Sehen umfasst in diesem Sinne viele Aspekte, etwa die physische und emotionale Prädisposition, Wahrnehmungs-, Haltungs- und Bewegungsmuster, emotionale Inhalte, Atem und Ernährung. Die verschiedenen Schulen legen unterschiedliche Schwerpunkte, aber egal ob der Fokus mehr auf den physischen, emotionalen oder sogar spirituellen Aspekten liegt, zentrale Momente sind durchgehend eine umfassende Entspannung und das schrittweise Umlernen von Wahrnehmungsmustern.
Gegenstand eines ganzheitlichen Augentrainings sind deshalb neben Entspannungstraining Übungen und Maßnahmen, die die Augenbeweglichkeit verbessern, einen Ausgleich zwischen schwächerem und stärkerem Auge herstellen, das dreidimensionale Sehen fördern, das Gesichtsfeld erweitern, die Aktivität der für das Nachtsehen zuständigen Stäbchenzellen erhöhen und die Koordination zwischen Auge und Gehirn verbessern.
Peter Ruiter von der niederländischen Ogenschool hat sich auf die Entwicklung verschiedener Tools, so genannten Mind Maps spezialisiert, etwa 3D-Übungsbilder, Bilder für gezielte Augenbewegungen und farbige Augenklappen. Von fast allen Sehschulen empfohlen wird eine so genannte Lochbrille, die die Gehirnverarbeitung dazu anregen soll, die Netzhautperipherie in die Wahrnehmung mit einzubeziehen.
Entspannung kann auf vielerlei Wege erreicht werden. Neben der Auflösung von emotionalen Mustern und Blockaden, sind Atemübungen oder Bewegung bewährte Zugänge. Auch die Ernährung spielt wie eingangs erwähnt für die Augengesundheit eine nicht unwesentliche Rolle: In der Traditionellen Chinesischen Medizin zum Beispiel werden Augen und Sehfähigkeit der Leber zugeordnet. In der Berliner Augenschule werden die Augen sogar von außen durch Augenbäder mit verschiedenen Zusatzstoffen angeregt und entgiftet. „Die entsprechenden Wännchen gibt es in der Apotheke. Neben Nährsalzen fügen wir etwa Natron hinzu, das dem Auge Säure entzieht, und ein Tropfen Zitrone kann das im Alter erschlaffende Gewebe zum Adstringieren anregen“, erklärt Almuth Klemm, Begründerin der Berliner Sehschule. „Durch die starke Benutzung von Bildschirmen schränken wir unser Gesichtsfeld in unserem Alltagsleben stark ein und gewöhnen uns an einen Tunnelblick.“ Die damit einhergehende Anspannung im Auge führt zu Blockaden im ganzen Körper. Durch einen Mangel an Durchblutung werden zum einen Giftstoffe nicht mehr genügend abtransportiert, Nährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe kommen nicht an ihr Ziel. Die Folgen sind vielfältig, sie reichen von Schulter- und Nackenverspannungen, über den grauen Star durch Ablagerungen, den grünen Star durch erhöhten Augeninnendruck bis hin zur Makuladegeneration, bei der die Zellen in der Netzhaut ihre Arbeit einstellen. Auf emotionaler Ebene kann unser ständige Tunnelblick zu einer eingeengten Weltsicht führen.
Vor 20 Jahren hatte Almuth Klemm 20 Dioptrien, heute kommt sie ohne Sehhilfe aus. Die neugierige Eklektizistin kennt sämtliche Sehschulen und kombiniert, was am meisten wirkt und ihr am besten liegt. Mit ihrem Workshop-Format „Augenurlaub“ vermittelt sie in entspanntem Setting ihren Schülern ein alltagstaugliches Maßnahmen- und Übungspaket, das als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht ist. „Ebenso wie bei ‚Normalsichtigen‘ schwankt meine Sehfähigkeit. Für mich ist es die Arbeit mit meinem Körper, die mir eine bessere Sehfähigkeit bei allen auftretenden Tagesschwankungen bringt. Die Augen geben eine direkte Rückmeldung über die Befindlichkeit des Körper-, Seelen- und Gefühlsbereichs. Meine Suche, was stabilisiert, geht weiter.“ Vor kurzem war es eine Reihe an Akupunktursitzungen, die ihre Sehfähigkeit und Haltung wieder nachhaltig ins Lot gebracht haben. „Immer wieder einmal erreicht man ein Plateau, an dem es sich lohnt, nach neuen Quellen zur Selbstheilung Ausschau zu halten. Es gibt kein Patentrezept. Mit zunehmendem Alter verändern sich auch die Herausforderungen. Allerdings verfüge ich heute über deutlich mehr Energie als früher. Es liegt eine enorme Hoffnung darin, dass wir uns nicht mit altersbedingten Einschränkungen abfinden müssen.“ (LW2017)