Ein Stern im Hochgebirge

In der Volksmedizin kommt das Edelweiß bereits seit Jahrhunderten zum Einsatz, aber auch die moderne Wissenschaft hat das Potential der Alpenpflanze erkannt.

Das Edelweiß ist seit langem als Heilpflanze bekannt. Extrakte aus verschiedenen Pflanzenteilen kamen gegen Bauchschmerzen, Herzkrankheiten oder gegen Ruhr und Durchfall zum Einsatz. 2019 wurde das streng geschützte Gewächs zur Arzneipflanze des Jahres gewählt. „Die früher gebräuchlichen Namen strahlendes Ruhrkraut und Bauchwehblume weisen auf diese Verwendung hin“, erklärt der Pharmakologe und Universitätsprofessor Hermann Stuppner, Präsident der Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA), die das Edelweiß zur Arzneipflanze des Jahres erkoren hat.
Edelweiß kommt wegen der erst in den vergangenen Jahren entdeckten Wirkstoffen heute vor allem in Kosmetika zum Einsatz. „Nachdem die Nachfrage nicht aus Wildsammlung gedeckt werden kann, hat man in den vergangenen knapp 20 Jahren im Zuge eines Projekts zur Domestikation von Alpenpflanzen in der Schweiz auch Edelweiß in Kultur genommen. Auf der Grundlage von Biodiversitätsstudien wurde die Sorte Helvetia gezüchtet, die sich durch homogenen Wuchs und Wirkstoffgehalt, gleichzeitige Blüte und guten Ertrag auszeichnet“, erläutert Chlodwig Franz, Vizepräsident der HMPPA. Bisher konnten mehr als 60 Inhaltsstoffe aus der Pflanze isoliert und strukturell charakterisiert werden.
„Extrakte und Einzelsubstanzen aus Edelweiß weisen ein breites Spektrum an pharmakologischen Aktivitäten auf das Herz-Kreislauf- und Nervensystem auf. Darüber hinaus konnten entzündungshemmende, antimikrobielle, antioxidative und chemoprotektive Wirkungen nachgewiesen werden. Für die antioxidative und chemoprotektive Aktivität der Pflanze verantwortlich ist in erste Linie die Edelweißsäure, welche in den weißen Hochblättern, den sogenannten Brakteen, in sehr großen Mengen (bis zu 10 %) vorkommt. Als Wirkprinzip für die neuroprotektive Wirkung konnten Sesquiterpene vom Typ des Isocomens identifiziert werden. Leoligin und Methoxyleoligin-Lignanderivate, die aus den Wurzeln isoliert werden konnten – zeigten starke entzündungshemmende Effekte und weisen eine Vielzahl von pharmakologischen Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System auf. Diese Substanzen können in der Zwischenzeit auch synthetisch hergestellt werden, so dass sie in großen Mengen zur Verfügung stehen“, berichtet Stuppner.
Die Nachfrage nach Edelweiß ist groß, Arzneiprodukte stehen aber noch aus. „Die beobachteten pharmakologischen Profile der Edelweißbestandteile lassen jedoch annehmen, dass sich in naher Zukunft auch in dieser Richtung etwas tun wird“, sagt Stuppner und es wird in diese Richtung bereits geforscht. Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße sind weltweit die Todesursache Nummer eins – hier sucht man nach neuen Wirkstoffen, auch im Edelweiß. „Zwei Verbindungen, die in den Wurzeln des Edelweiß zu finden sind, das Leoligin und das 5‘-Methoxyleoligin, werden im Moment als sehr effektive und mächtige Wirkstoffe gehandelt. Der Wirkstoff Leoligin schützt Gefäße vor Verkalkung (Arteriosklerose), senkt Cholesterin und reduziert das Anschwellen des Blutzuckerspiegels nach Mahlzeiten. 5‘-Methoxyleoligin wird derzeit auf seine Eignung als Inhaltstoff einer ‚Spritze gegen Herzinfarkt‘ getestet und könnte die Anzahl von Organen, welche für die Transplantation zur Verfügung stehen, vergrößern. Die Begeisterung ist groß, ganz klar muss aber festgehalten werden, dass diese Substanzen noch in der Entwicklungsphase sind. Ein Einsatz in der Therapie von Herzkreislauferkrankungen wird wohl noch fünf Jahre dauern“, berichtet David Bernhard vom Zentrum für medizinische Forschung der Medizinischen Fakultät der Johannes-Kepler-Universität Linz. Die Edelweiß-Forschung in den Laboren ist damit aber noch nicht zu Ende. „So konnten zum Beispiel aus biotechnologisch hergestellten Edelweiß-Kulturen neue makrozyklische Substanzen mit starker antibiotischer Aktivität isoliert werden“, ergänzt Brigitte Kopp, Vizepräsidentin der HMPPA, Department für Pharmakognosie, Universität Wien.
Das Edelweiß (Leontopodium nivale ssp. alpinum) gehört zur großen, weltweit verbreiteten Pflanzenfamilie der Korbblütler (Asteraceae, früher Compositae) und kommt im Hochgebirge in Lagen zwischen 1.500 und 3.000 Metern Seehöhe vor. Obwohl das Edelweiß zu den streng geschützten Alpenpflanzen gehört, wird es aus Wildsammlung schon über Jahrhunderte als Arzneipflanze genutzt. Das Verbreitungsgebiet von L. nivale, der europäischen Art, reicht von den Pyrenäen über die Alpen, die dinarischen Gebirge bis zu den Karpaten. Weitere etwa 50 Arten finden sich im Kaukasus, im Himalaya, in Zentralchina und in Japan.
Edelweiß wird in der Südschweiz auf sonnigen Berglagen in 1 000 bis 1500 m Seehöhe angebaut.